Diese Transkription war der erste Schritt auf meinem Weg, die Welt der Gladiatoria-Handschriften zu erkunden. Gemeinsam mit meinem Kollegen Bartłomiej Walczak habe ich mehrere Jahre damit verbracht, über diese beeindruckende Gruppe mittelalterlicher Codices zu forschen. Unsere Mühen mündeten in der jüngst erschienenen ausführlichen Edition desjenigen Manuskripts, das unserer Auffassung nach das schönste dieser Gruppe von sechsen ist. Unsere Ausgabe gibt die gesamte Handschrift in Farbe wieder, und aufschlussreiche Begleittexte beleuchten die unterschiedlichen Aspekte des Kampfs in der Rüstung und geben einen Überblick über die Gladiatotia-Gruppe im allgemeinen sowie die aufregende Geschichte des New Havener Exemplars im besonderen.
Nach mehr als fünf Jahren haben wir meiner Meinung nach einen wertvollen Band erstellt, den die Liebhaber der historischen Kampfkünste außerordentlich schätzen werden.
Weitere Informationen zum Buch gibt es in der Literaturliste.
Hier gibt es einen kurzen Textauszug.
Dierk Hagedorn, April 2015
Dies ist die Transkription einer frühneuhochdeutschen Bildhandschrift aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die zu der sogenannten Gladiatoria-Gruppe zählt. Das Original befindet sich im Yale Center for British Art in New Haven, Connecticut. Die Handschrift gehörte früher der Universitäts- und Forschungsbibliothek Gotha Herzoglichen Bibliothek Gotha [Nachtrag vom April 2013 auf freundlichen Hinweis von Cornelia Hopf, Leiterin der Handschriftenabteilung Forschungsbibliothek Gotha], wo sie unter der Nummer Ms. Memb. II 109 geführt wurde. Sie galt lange als verschollen, s.a. Hils, Leng.
Aus der Gladiatoria-Gruppe (so benannt nach der Krakauer Handschrift Ms. Germ. Quart. 16) sind mehrere Handschriften enthalten:
Die Krakauer Handschrift ist in einer strengeren und präziseren Bastarda verfaßt als die beiden Handschriften aus New Haven und Wien – die einzigen, die ebenfalls Textbeischriften enthalten. Auch die Qualität der Zeichnungen übertrifft die der anderen Fassungen. So sind z.B. die Rasenstücke zu Füßen der Fechter mit Blumen, Gräsern und anderen Pflanzen versehen, wohingegen sich die Kämpfer der anderen Fassungen auf vegatationslosem, flächig angelegtem Untergrund bewegen. Auch sind die Rüstungen der Kämpfer detaillierter ausgeführt.
Von der sogenannten Handschrift ‚T‘ existieren laut Hils »nur noch die Auktionsbeschreibungen von drei verkauften Einzelblättern«.
Die hier transkribierte Handschrift aus New Haven gleicht sehr stark der Wiener Fassung, beide scheinen von derselben Hand geschrieben, teilweise ist sogar der Zeilenfall identisch. Die Schrift ist eine akkurate Bastarda, es gibt kaum Korrekturen und nur gelegentliche Abkürzungen.
Der Pariser Codex ist eine Sammelhandschrift, und nur die Blätter 195r – 212v zeigen einen textlosen Gladiatoria-Auszug.
Das Wiener Manuskript gleicht stark demjenigen aus New Haven, ist jedoch umfangreicher als dieses – insbesondere im Dolchteil.
Die Wolfenbütteler Handschrift Cod Guelf. 78.2 Aug. 2o bietet lediglich rohe Zeichnungen, einfach und flächig koloriert, und keinen Text – von wenigen kurzen Anmerkungen zu Füßen der Kämpferpaare und einem Namenszug auf einer Helmdecke (Johan Balder, f. 63r) abgesehen. Bemerkenswert ist, daß diese Handschrift weitaus mehr Techniken zum Dolchkampf enthält als die andern Gladiatoria-Fassungen. Sie zeigt überdies Bloßfechten- und Ringtechniken, den Kampf mit Schwert und Buckler sowie mit Stangenwaffen, die in anderen Gladiatoria-Handschriften nicht enthalten sind. Da es außerdem ein Kriegsbuch enthält und zu Beginn Verse Johannes Liechtenauers aufgeführt werden, ist es wahrscheinlich, daß es sich um ein Kompendium aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen handelt.
Bereits Hans-Peter Hils hat festgestellt, daß der Wiener Codex Vindob. B 11093 zwar Ähnlichkeiten aufweist, der Gruppe aber nicht zugehörig ist. Rainer Leng hingegen schlägt diese Handschrift dem Gladiatoria-Komplex zu, was ich nicht bestätigen kann, da es sich zwar ebenfalls um geharnischte Kämpfer handelt, die inhaltlichen Unterschiede aber zu groß sind, um diesen Schluß zuzulassen. (Siehe hierzu Hils: Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen Schwerts, S. 201 f; Leng: Katalog …, S. 22 – 34.)
Die vorliegende Yale-Version gehörte, wie erwähnt, früher der Universitäts- und Forschungsbibliothek Gotha Herzoglichen Bibliothek Gotha und galt seit dem zweiten Weltkrieg als verschollen. Laut Hils und Leng war die Handschrift ursprünglich aus drei Teilen zusammengebunden: dem Gladiatoria-Teil (1r – 43r), einem Fragment von Lope Felix de Vega Carpio, »El testimonio vengado« (45r – 55r) und einem Teil mit spanischen Gedichten sowie französischen und lateinischen Sentenzen (57 – 100) (Leng, S. 23 f). Noch im Jahr 2008 hält Leng den Verbleib sowohl des Gladiatoria-Teils als auch des dritten Teils (Teil zwei wurde 1997 Gotha zurückerstattet) für unbekannt und äußerst die Vermutung, daß die Handschrift identisch mit der beim Heidelberger Antiquariat Dr. Helmut Tenner versteigerten Handschrift ‚T‘ (s.o.) sei. Aufgrund der überlieferten Blattzahl für den Gladiatoria-Teil (1r – 43r) kann dies mit Sicherheit ausgeschlossen werden, da alle 43 Blätter in der New Havener Handschrift erhalten sind. Diese Vermutung hat sich als absolut zutreffend herausgestellt, wie nicht zuletzt unter Zuhilfenahme der Abbildungen aus den Auktionskatalogen in Hans-Peter Hils’ Aufsatz »Gladiatoria. Über drei Fechthandschriften aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts« (Codices manuscripti, Jahrgang 13/1987, Heft 1/2). [Nachtrag vom April 2013.]
Teile des Manuskripts sind durch Beschnitt der Seiten verlorengegangen (möglicherweise bei der Montage mit den beiden anderen oben erwähnten Teilen), wodurch der Text bisweilen schwer entzifferbar oder sogar unlesbar geworden ist. Im Vergleich mit dem Seitenlayout der ähnlichen Wiener Handschrift fehlen mehrere Zentimeter, so daß auch Beine und Arme der Fechter sowie andere Teile der Zeichnung abgeschnitten sind. Überdies ist auf drei Blättern der Textteil unterhalb der Füße der Fechterpaare abgeschnitten: foll. 3rv, 4rv und 7rv. Unleserlich gewordene oder durch Beschnitt entfallene Textstellen habe ich nach Möglichkeit nach den Handschriften aus Krakau bzw. Wien ergänzt.
Anders als in der umfangreicheren Krakauer Fassung fehlen der Kampf mit dem langen Schild zusammen mit Schwert oder Kolben, die Techniken mit Schwert und Buckler, Schwert und ungarischem Schild sowie mit der Stange – wobei die drei letztgenannten auch im Krakauer Codex nur jeweils eine einzelne Seite umfassen.
In der Handschrift gibt es zahlreiche unterschiedliche Paginierungen und Foliierungen – zum Teil ältere (zeitgenössische?), zum teil moderne –, jedoch ist keine davon konsequent und durchgehend. Blatt sieben ist auf Vorder- und Rückseite im Vergleich zum Rest stark verschmutzt.
Bemerkenswert ist, daß sich die Rüstungen in allen Gladiatoria-Handschriften zwar gleichen und insbesondere sehr ähnliche Helmmodelle aufweisen, jedoch durchaus Unterschiede auszumachen sind. Die hier behandelte Handschrift aus New Haven zeigt z.B. als einzige Harnische mit einer Kastenbrust, einer Rüstungsmode, die im deutschsprachigen Raum um die Mitte des 15. Jahrhunderts populär war: foll. 8v, 11r, 24v, 25r.
In der folgenden vergleichenden Übersicht der vier wichtigsten Gladiatoria-Handschriften finden sich die inhaltlichen Übereinstimmungen und Unterschiede. Es wird deutlich, daß nicht jede Technik in jeder Handschrift enthalten ist und daß nicht ein Manuskript sämtliche Techniken zeigt. Der reichhaltigste Codex aus Wolfenbüttel enthält leider keinen Text, so daß als Leithandschrift hier die künstlerisch anspruchsvollste aus Krakau herangezogen wird. Gelegentlich weichen die Illustrationen geringfügig voneinander ab, geschieht dies in einem größeren Umfang, ist dies gekennzeichnet. Die mit (x) hervorgehobenen Seiten der Wiener Handschrift stellen Seiten dar, die von deutlich höherer Qualität sind als der Rest des Manuskripts und eher der Fassung aus New Haven ähneln ohne jedoch mit diesen identisch zu sein.
Krakau |
Wien |
Yale |
Wolfenbüttel |
Speer |
|||
1v | 33r | ||
2r | 1r | 35v | |
2v | 1v | 33v | |
3r | 2r | 1r | 36r |
3v | 2v | 1v | 36v |
4r | 3r | 2r | 79v (ähnl. Abb.) |
4v | 3v | 2v | 80r |
5r | 4r | 3r | 32r |
5v | 4v | 3v | 37r |
6r | 5r | 4r | 34v |
6v | 5v | 4v | 32v |
7r | 6r | 5r | 35r |
34r | |||
Halbschwert |
|||
7v | 6v | 5v | 41r |
8r | 68v | ||
8v | 69v | ||
9r | 7r | 6r | 44v |
9v | 7v | 6v | 45v |
10r | 8r | 8r | 41v (ähnl. Abb.) |
10v | 8v | 8v | 46r |
11r | 9r | 9r | 47r |
11v | 9v | 9v | 46v |
12r | 10r | 10r | 48r |
12v | 10v | 10v | 47v |
13r | 11r | 7r | 69r |
13v | 11v | 7v | 43r |
14r | 12r | 11r | 73v |
14v | 12v | 11v | 55v |
15r | 13r | 12r | 55r |
15v | 13v | 12v | 63r |
16r | 14r | 13r | 67v |
16v | 14v | 13v | 63v |
17r | 15r | 14r | 62r |
17v | 15v | 14v | 56r |
18r | 16r | 23r | 56v |
18v | 16v | 23v | 50r |
19r | 17r | 26r | 50v |
19v | 17v | 26v | 51v |
20r | 18r | 24r | 58r |
20v | 18v | 24v | 48v |
21r | 49r | ||
19r | 25r | ||
21v | 19v | 25v | 49v |
22r | 20r | 15r | 52v |
22v | 20v | 15v | 53r |
23r | 21r | 16r | 53v |
23v | 21v | 16v | 54v |
24r | 22r | 17r | 54r |
24v | 22v | 17v | |
25r | 23r | 18r | 57r |
25v | 23v | 18v | 64r |
26r | 24r | 28r | 64v |
26v | 24v | 28v | 51r |
27r | 25r | 27r | 58v |
27v | 25v | 27v | 61r |
28r | 26r | 22r | 61v |
28v | 26v | 22v | 65r |
29r | 27r | 19r | 45r |
29v | 27v | 19v | |
30r | 28r (x) | 20v | 66v |
30v | 28v (x) | 67r | |
31r | 29r | 20r | 66r |
31v | 29v | 21r | 65v |
32r | 30r | 21v | 68r |
32v | 30v | 29r | |
33r | 31r | 29v | |
42r | |||
42v | |||
44r | |||
62v | |||
Dolch |
|||
31v (x) ohne Text | 30r | ||
33v | 32r | 30v | 103v |
34r | 32v | 31r | 100r |
34v | 33r | 31v | 108v |
35r | 33v | 32r | 96v |
35v | 34r | 32v | 107r |
36r | 34v | 33r | |
36v | 35r | 33v | 80v |
37r | 35v | 34r | 105r |
37v | 36r | 34v | 84r |
38r | 36v | 35r | 95r |
38v | 37r | 35v | 110r |
39r | 37v | ||
39v | 38r | 91r | |
40r | 38v | 36r | 88r |
40v | 39r | 36v | 87v |
41r | 39v | 37r | 94r (ähnl. Abb.) |
41v | 40r | 37v | 98v |
42r | 40v | 97v | |
42v | 41r | 107v (ähnl. Abb.) | |
43r | 41v | 81v | |
43v | 42r | ||
42v | 111r (ähnl. Abb.) | ||
43r | |||
43v | 85v (ähnl. Abb.), 107 | ||
44r | |||
44r | 44v | 90r | |
44v | 45r (andere Abb.) | 96r | |
45r | 45v | 94v | |
45v | 46r | 104r | |
46r | 46v | 38r | 95v |
46v | 47r | 38v | |
47r | 47v | 99v | |
47v | 48r | 98r | |
48r | 48v | 39r | 97r |
48v | 49 (x) ohne Text | 39v | 108r |
49r | 53r | 40v | |
49v | 40r | ||
81r | |||
82r | |||
82v | |||
83r | |||
83v | |||
84v | |||
85r | |||
86r | |||
86v | |||
87r | |||
88v | |||
89r | |||
91v | |||
92r | |||
93r | |||
99r | |||
100v | |||
101r | |||
101v | |||
102r | |||
103r | |||
105v | |||
106r | |||
109r | |||
109v | |||
Langer Schild und Schwert |
|||
49v – 51v | |||
Langer Schild und Kolben |
|||
52r – 54r | |||
Ringen |
|||
112r – 123r (122rv leer) |
|||
Schwert und Buckler |
|||
113r | |||
54v | 113v | ||
114r | |||
114v | |||
115r | |||
115v | |||
116r | |||
117r | |||
Messer und ungarischer Schild |
|||
55r | |||
Stange |
|||
55v | |||
1r | |||
Bodenkampf |
|||
56r | 53v | ||
56v | 54r | ||
57r | 54v | 41r | 73r |
57v | 55r | 41v | 74r |
58r | 55v | 42r | 74v |
58v | 56r | 42v | |
59r | 56v | 43r | |
Kriegsbuch |
|||
124r – 157v | |||
Bloßfechten im langen Schwert |
|||
1v – 28v (2v, 15r – 16v leer) |
|||
Stangenwaffen |
|||
29r – 31v (30v, 31r leer) |
Die Transkription orientiert sich so getreu wie möglich am Original. Der Buchstabe »v« wird nicht in »u« oder »v« aufgelöst. Abbreviaturen oder andere Sonderzeichen oberhalb eines Buchstabens bleiben (im Rahmen der eingeschränkten typographischen Möglichkeiten des Internets) weitgehend erhalten.
Ich bin Christian Tobler und Jeffrey Forgeng zu außerordentlichem Dank verpflichtet, denn ohne ihre unschätzbare Hilfe und Unterstützung wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Vielen herzlichen Dank.
Rainer Leng (Bearbeiter): Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, Band 4/2, Lieferung 1/2 – 38. Fecht- und Ringbücher. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 2008
Hans-Peter Hils: Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen Schwertes. Peter Lang, 1985
Hans-Peter Hils: »Gladiatoria. Über drei Fechthandschriften aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts« (Codices manuscripti, Jahrgang 13/1987, Heft 1/2)
Martin Wierschin: Meister Johann Liechtenauers Kunst des Fechtens. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1965
Dierk Hagedorn, Juni 2009