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Joachim Meyer, Rostock

Einleitung

Ende des Jahres 2014 hat die Universitätsbibliothek Rostock die digitalisierten Farbscans des Mss. var. 82 veröffentlicht, eines wichtigen Manuskripts aus der Hand des Fechtmeisters Joachim Meyer (ca. 1537–1571). Er hat Pionierarbeit geleistet, indem er unter den ersten war, die eine Fechtanleitung in gedruckter Form herausgebracht haben. Die erste Ausgabe seines Opus magnum »Gründtliche Beschreibung der Kunst des Fechtens« erschien 1570. Zuvor wurde fechterisches Wissen in Form von handgeschriebenen Manuskripten weitergegeben, von ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Gleichwohl hat Joachim Meyer selbst zwei Manuskripte hergestellt: Ein üppiges, repräsentatives Buch mit zahlreichen ganzseitigen Farbillustrationen um 1560 (MS A.4º.2, gegenwärtig verwahrt in Lunds Universitets Bibliotek in Lund, Schweden) und ein weiteres, das hier vorliegende, das als sein persönliches Exemplar gelten mag, welches er aus unterschiedlichen Quellen um 1570 erstellt hat.
Vom letzten Teil abgesehen, der Meyers eigenen Ansatz in der Fechtkunst mit dem Rapier darstellt, ist diese Handschrift ein weiteres Beispiel jener umfangreichen Zusammenstellungen, die aus verschiendenen Techniken verschiedener Meister bestehen: Wir finden Bloßfechten mit dem Schwert ebenso wie den geharnischten Kampf; es gibt Ringen und Rossfechten; und auch Dolchstücke und Techniken mit Schwert und Buckler werden beschrieben.
Einen der faszinierendsten Aspekte stellen Meister Johannes Liechtenauers Lehren mit dem Schwert dar, die gleich zweimal vorkommen: Einmal in der Bearbeitung (wenn man so will) von Sigmung Einring (auch irrtümlich als Ringeck bekannt), und einmal in einer Version, die der des sogenannten Jude-Lew-Manuskripts (Cod. I 6 4o 3, Universitätsbibliothek Augsburg) oder des sogenannten Hans-von-Speyer-Codex (M.I.29, Universitätsbibliothe Salzburg) ähnelt. Erstere ist weiterhin höchst interessant, da es im Text häufig heißt: »als hie gemalt stet.«
All dies deutet darauf hin, dass Meyer aus unterschiedlichen Quellen kopiert hat – und eine davon war offenbar (oder vermutlich) illustriert. Sein Werk jedoch enthält keinerlei Abbildungen.
Meyers Einring-Version ist eine gekürzte; insbesondere im Vergleich mit dem berühmten sogenannten Ringeck-Manuskript der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (Mscr. Dresd. C 487) fehlen größere Teile.
Die Fassung, die dem Jude-Lew-Manuskript ähnelt, ist deutlich vollständiger, und tatsächlich setzt sich diese Ähnlichkeit auch in folgenden Abschnitten fort, die eine teilweise wortgetreue Kopie der Lew-Handschrift sind, darunter das Kampffechten im Harnisch eines anonymen Autors und dasjenige von Mertein Huntzfeltz (Andre Lignitzer zugeschrieben im Codex 44A8, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Rom).
Davon abgesehen scheint Meyer recht wahllos kopiert zu haben was auch immer in seine Hände gelangte, wie etwa kurze Ausschnitte von Liechtenauers Ringen im Harnisch, welches auf fol. 74v/75r außerhalb jeglichen Kontextes zwischen Huntzfeltz’ Kampf in der Rüstung und Anleitungen zum Rossfechten eingezwängt ist
Ein weiterer Abschnitt über den Dolch auf fol. 76r–86r ist insofern interessant, als er keine ausgeprägte Ähnlichkeit mit den Lehren irgend eines anderen Meisters hat, von dem wir gegenwärtig Kenntnis haben. Weiterhin wird der Schüler dort sowohl in der zweiten Person  Singular als auch Plural angesprochen, was es so in keiner anderen Quelle gibt.
Möglicherweise war Joachim Meyer etwas geistesabwesend, denn wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf fol. 94v/95r und 96r/v richten, findet sich dort zwei Mal exakt derselbe Text über das Ringen zu Pferd.
Von besonderem Interesse ist der Name des Fechtmeisters Pegnitzer, der auf fol. 94r erscheint. Dessen Lehren tauchen in keinem anderen Fechtbuch auf, dennoch ist uns sein Name durch die »Gesellschaft Liechtenauers« geläufig, die der Fechtmeister Paulus Kal in seinen Handschriften auflistet (Ms. 1825, Universitätsbibliothek Bologna; Cgm 1507, Bayerische Staatsbibliothek München; KK 5126, Kunsthistorisches Museum Wien).

Der gesamte Band scheint von einer Hand geschrieben zu sein, möglicherweise Joachim Meyers eigener, obschon die beiden letzten Abschnitte sich im Stil unterscheiden. Beide Teile behandeln das Rapier: Der erste scheint eine Adaption des langen Messers zu sein, um sie an die neue Waffe anzupassen, die zu der Zeit in Mode kam. Er ist in einem strengeren, weniger fließenden und kursiven Stil geschrieben als der Rest des Manuskript. Die Handschrift verschlechtert sich jedoch auf den letzten Seiten beachtlich, als ob sie in Eile oder von einer von Krankheit gezeichneten Person verfasst wurde. Dieser Abschnitt ist jedoch an vielen Stellen mit Anmerkungen versehen, die im gleichen Duktus gehalten sind, der den Großteil des Manuskripts ausmacht.
Der letzte Teil zeigt wiederum einen anderen Schreibstil. Er behandelt ebenfalls das Rapier und stellt Meyers eigene Erfindung dar, die er aus zahlreichen Quellen zusammengestellt hat, die er auf der Vorwortseite auf fol. 123r nennt, wo auch das Datum 1570 verzeichnet ist.
Es ist durchaus möglich, dass der Hauptteil einige Zeit früher notiert worden ist. Wenn wir den Schreibstil mit dem zweiten Manuskript aus Lund vergleichen, das von Meyers Hand überliefert ist und welches auf die Zeit um 1560 datiert wird, stellen wir eine beachtliche Ähnlichkeit fest.
Der Großteil des Manuskripts, von fol. 6 bis 110, stammt von einer klaren und einheitlichen Hand, die nur wenige Streichungen oder Korrekturen zeigt. Gelegentlich kommt eine Marginalie vor, am häufigsten bei Liechtenauers Rossfechten, wo der Text überdies von horizontalen Linien geteilt wird, mit den Wörtern »end« und »anfang« daneben. Einige Textstellen sind durchgestrichen. Ob dies bedeutet, dass das Manuskript als Vorlage  für einen anderen Band diente und die bearbeiteten Passagen auf diese Weise markiert wurden, ist lediglich eine nicht nachprüfbare Vermutung.

Die Transkription folgt dem Text so genau wie möglich. Die Eigentümlichkeiten der Großschreibung wurden größtenteils beibehalten, es war jedoch nicht immer klar, ob ein einzelnes Zeichen als groß oder klein geschrieben gedacht war. Im Zweifelsfall wurde Kleinschreibung bevorzugt, von Satzanfängen abgesehen.
Da die Buchstaben »n« und »u« im Schriftbild nahezu identisch aussehen, hat der Schreiber zur Unterscheidung einen Halbkreis über das »u« gesetzt. Dieses Zeichen wurde nicht beibehalten, da der moderne Schriftsatz den Unterschied ausreichend deutlich macht.
Das vokalische »y« wird im gesamten Manuskript in Umlautform geschrieben. Dies wird hier nicht beibehalten, und »ÿ« wird als »y« wiedergegeben.
Die »sch«-Ligatur wird in einer komprimierten Form geschrieben, so dass das »c« zwischen »s« und »h« kaum wahrnehmbar ist – wenn überhaupt. Gleichwohl wird als »sch« transkribiert.
Eine weitere Buchstabenkombination, die häufig in der Transkription auftaucht, ist »tz«. Es war nicht immer ganz klar, ob der Schreiber »cz« oder »tz« meinte; im Zweifelsfall habe ich mich für »tz« entschieden.
Andere Abkürzungen, wie z.B. »ẽ«, zeigen meist ein fehlendes abschließendes »n« an und wurden nicht aufgelöst, um den Charakter des Originaltextes möglichst unbeeinflusst zu lassen.
Der Text wird durch Kammata und Punkte gegliedert. Es war jedoch nicht immer möglich zu entscheiden, ob ein Fleck auf der Seite ein Komma, einen Punkt oder eben nur einen Fleck darstellt.
Das Manuskript ist nicht im Originalformat erhalten, die Seiten sind an den Rändern beschnitten worden, was zu geringen Textverlusten geführt hat. Ergänzungen, die sich bemühen, den Originalwortlaut wider herzustellen, sind in eckige Klammern [] gesetzt.
Die Foliierung der Transkription folgt der modernen Bleistiftfassung, die sich mittig am unteren Rand der Rectoseiten befindet. Eine weitere, ältere Foliierung steht in der oberen rechten Ecke dieser Seiten und ist leider wegen Seitenbeschnitts kaum oder gar nicht mehr erkennbar. Diese alte Zählung stammt möglicherweise aus der Entstehungszeit der Handschrift und ist zu Beginn um vier geringer als die moderne, später um drei (um fol 83) oder um zwei (etwa ab fol. 107).

Dierk Hagedorn, 24. Februar 2015
(Joachim Meyers 444. Todestag)